Das Papyrus Projekt

Vorbemerkung

"Panta rhei ... alles ist im Fluß" Mit diesem Satz des Philosophen Heraklit aus Ephesos ( v. Chr. ) konnte man um die Jahrtausendwende den Zustand von Bibliotheken , Sondersammlungen und Museen beschreiben. Digitalisierung , Multimedia und Internet hießen die neuen Zauberworte , von denen man das Heil erhoffte. "Alles muß raus ! Nach diesem Motto von Sonderverkäufen des Handels verlangte man von altehrwürdigen Institutionen, ihre Sondermagazine zu öffnen und ihre wertvollen Bestände weltweit im world wide web zu präsentieren. Dieser Forderung standen Argumente wie Bestandssicherung, Bestandserhaltung und Bestandserschließung gegenüber. Anbiederung an neue Medien, aber auch Verweigerung, führen in der Regel nicht zum Ziel und stellen keine der beiden Seiten zufrieden. Man mußte die Chancen der neuen Medien und Techniken nutzen und die damit eventuell einhergehenden Risiken zu vermeiden oder zumindest zu minimieren versuchen. Denn nichts zu tun und alles beim Alten zu belassen , war sicherlich keine Lösung.

Das Projekt

Das gemeinsame Vorhaben der Papyrussammlungen in Halle, Jena und Leipzig hatte sich zum Ziel gesetzt, die jeweiligen Papyrus-Bestände nach gemeinsam entwickelten Kriterien zu katalogisieren, zu digitalisieren sowie gleichzeitig eine Sicherheitsverfilmung durchzuführen. Das Ergebnis des Projektes wird auf einer Seite mit Kurzbeschreibung und Bild über das Internet sowohl den Spezialisten als auch einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Ab Dezember 2009 ist das Projekt um die Ostraka erweitert worden. Nach den gleichen Kriterien wurden auch ca. 1.600 Leipziger Ostraka in den nächsten drei Jahren bearbeitet.

Die Genese

Zu Beginn der Projektplanung trat das Universitätsrechenzentrum der Universität Leipzig an die Projektpartner mit dem Angebot heran, die Speicherung und Bereitstellung der Daten und Bilder zu ermöglichen, nachdem das Projekt Bach Digital ein voller Erfolg war.

Um zu einer Standardisierung zu kommen und um auch kompatibel mit anderen Projekten zu sein (Heidelberg, Cologne, Giessen, APIS) setzte dies einige Vorarbeiten und Absprachen voraus, die sowohl die technische Umsetzung als auch die inhaltliche Erfassung betrafen. Es war notwendig, sich über Beschreibungsfelder für die einzelnen Papyri und gleichzeitig auf eine einheitliche Terminologie zu verständigen. Aus diesem Grunde veranstaltete die Papyrussammlung der Universitätsbibliothek Leipzig zusammen mit den Partneruniversitäten Halle und Jena am 20. März 2001 in Leipzig einen Workshop unter dem Thema "Papyri im Internet". Die Teilnehmer kamen aus den anderen zur damaligen Zeit wissenschaftlich betreuten Papyrussammlungen in Deutschland (Berlin, Gießen, Hamburg, Heidelberg, Köln und Trier). Beteiligt waren auch die Universitätsrechenzentren der beteiligten Universitäten sowie Vertreter der IT-Branche. Denn es lag nahe, bereits realisierte Projekte ähnlicher Art in Giessen, Heidelberg und Köln sowie damals im Entstehen begriffene Vorhaben (Trier) zum Vergleich heranzuziehen und die dort bereits gemachten Erfahrungen zu nutzen. Von Seiten der Projektpartner wurde ein Vorschlag unterbreitet, der die Beschreibungskategorien der anderen Sammlungen mit den eigenen Vorstellungen zu verbinden suchte.

Die Realisierung des Projektes

1. Restaurierung

Zunächst mußten an den meisten Objekten in Halle, Jena und Leipzig noch restauratorische und konservatorische Maßnahmen durchgeführt werden. Dafür war der Leipziger Papyrusrestaurator Jörg Graf an allen drei Papyrusstandorten zuständig.

2. Verfilmung, Digitalisierung und 3D-Aufnahmen

Die Sicherheitsverfilmung und die Herstellung eines digitalisierten Bildes wurden zunächst für alle drei Sammlungen in der Thüringer Landes- und Universitätsbibliothek in Jena (ThuLB) durchgeführt. Es wurde ein schwarz-weiß Negativ-Film zur Langzeitarchivierung verwendet. Das digitalisierte Master-Image wurde mit 600 dpi als unkomprimierte TIFF-Datei gespeichert, und zwar zusätzlich auf DVD/CD. Das TIFF-Format wurde deshalb gewählt, damit auch spätere Forscher auf ein Medium zurückgreifen können, das einen gewissen Standard in der schnellebigen digitalen Welt bietet. Verfilmung und Digitalisierung geschahen gleichzeitig in einem sogenannten Hybrid-Verfahren. Für das Internet wurden diese Bilddaten auf 300, 100 und 72 dpi verkleinert und im JPG-Format angeboten. Mittlerweile sind der schnelleren Netzgeschwindigkeit wegen die Bilder alle im 300 dpi Format. Die Metadaten wurden im XML-Format, was sich als Standard abzeichnete, gespeichert. Die Sicherheit spielt insofern eine große Rolle, weil Leipzig hier leidvolle Erfahrungen hat sammeln müssen. Von dem berühmten Papyrus Ebers sind nämlich in den Wirren am Ende des 2. Weltkrieges im Auslagerungsort Rochlitz an der Mulde - in manchen Printmedien wurde dies in der Schweiz lokalisiert - einige Tafeln verloren gegangen. Bei der Rekonstruktion konnte man sich auf die kurz nach dem Ankauf erfolgte prachtvolle Faksimile-Ausgabe stützen. Nachdem die Universitätsbibliothek Leipzig dann eigene Digitalisierungsmöglichkeiten besaß, wurden die Leipziger Objekte in Leipzig digitalisiert und verfilmt. Von den Ostraka wurden zusätzlich mit dem Equipment der Kustodie der Universität Leipzig Infrarotaufnahmen gemacht. Im Institut für Mineralogie, Kristallographie und Materialwissenschaft der Universität Leipzig wurden auch neueste, zerstörungsfreie und innovative Verfahren angewandt (u.a. Computertomographie, Laserscan), um die Schrift auf den Schriftträgern besser lesbar zu machen. Außerdem wurden auch 3 D- Bilder gefertigt.

3. Katalogisierung

Die wissenschaftliche Katalogisierung wurde am jeweiligen Standort durch eine wissenschaftliche Mitarbeiterin oder einen wissenschaftlichen Mitarbeiter vorgenommen. Dabei konnten sie sich auf das Inventarbuch und verschiedene Ansätze zur Katalogisierung aus früheren Zeiten stützen. Die dabei gewonnenen Daten wurden im Standard-Format XML abgespeichert, damit sie auch in ferner Zukunft noch abgerufen werden können. Die dabei entstandene Datenbank dient gleichzeitig als Inventarbuch, Katalog, internes Arbeitsinstrument und Grundlage für spätere Editionsvorhaben. Eine ausführliche Beschreibung findet sich für Interessierte unter dem Menüpunkt Dokumentation. Es wurden wegen der Besonderheit dieser Quellengattung zwei Datenerfassungsmasken erstellt. In der einen wurden alle Informationen zu dem Schriftträger, in der anderen die Informationen zu den darauf geschriebenen Texten erfaßt. Neben der Inventarnummer als Identifizierung wurden u.a. Informationen zu Material, Maßen, Aufbewahrung, Sprache, Datierung, Herkunft, Fundort, Erwerbung, Inhalt, Publikation ermittelt und zusammengestellt. Bei bereits veröffentlichten dokumentarischen Papyri wurde ein Link zur Duke Databank of Dokumentary Papyri bei papyri.info gelegt, in der die griechischen Texte aller publizierten dokumentarischen Papyri und Ostraka gespeichert und online zugänglich und durchsuchbar sind, so daß der Leser sofort den griechischen Text in einem gängigen griechischen Zeichensatz sich anschauen kann. Ein Link führt zum Heidelberger Gesamtverzeichnis, das die Metadaten der bisher publizierten dokumentarischen Papyri bereitstellt. Bei literarischen Papyri folgte ein Verweis auf die Leuven Database of Ancient Books. Bei paraliterarischen Papyri erfolgt ein Link zu dem Catalogue of Paraliterary Papyri via Trismegistos.

Diese Vernetzungen und Verweise sind ein Indiz dafür, daß die Papyrologen weltweit die neuen Techniken nutzen und dass die berühmte amicitia papyrologorum keine reine Floskel ist.

Die Datenbanken Halle, Jena und Leipzig sind Teil des Papyrusportals Deutschland, das ebenfalls von dieser Projektgruppe mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft geschaffen wurde, seit 2008 online ist und in Echtzeit eine Suche in allen angeschlossenen papyrologischen Datenbanken in Deutschland ermöglicht (http://www.papyrusportal.net).

4. Internetpräsentation

Die Metadaten und die digitalisierten Bilder des Papyrus- und Ostrakaprojektes wurden zunächst im Universitätsrechenzentrum Leipzig von einem ebenfalls von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Mitarbeiter (H. Vogler) in den MyCoRe basierten Content Manager eingebracht. Nach der Bereitstellung eines Editors bei MyCoRe trugen die Mitarbeiter die Daten direkt online in die Datenbank ein. Somit war garantiert, daß die Datenbank immer auf dem aktuellen Stand war. Bis heute hat sich an der technischen Grundlage MyCoRe nichts geändert, jedoch läuft das System jetzt mit modernen Komponenten. Die Federführung für die technische Seite der Realisierung lag und liegt beim Universitätsrechenzentrum Leipzig. Verantwortlich ist Herr Kupferschmidt.

Motive und Ziele

Wenn wir nun zur Ausgangsfrage zurückkehren, ob die Bereitstellung der digitalisierten Sonderbestände im Internet ein Fluch oder ein Segen war, oder weniger pathetisch ausgedrückt, ob es sinnvoll und nützlich war, die Papyri, Ostraka, Pergamente, Papiere und die zugehörigen Informationen im Internet zur Verfügung zu stellen, wird man dies mit gutem Gewissen bejahen können. Denn Digitalisierung und Präsentation im Internet waren und sind nicht Selbstzweck, sondern haben in erster Linie dienende und unterstützende Funktionen. Das Verfilmen und Scannen dient dem Bestandsschutz, da die Originale nicht mehr so häufig bewegt und dem Licht ausgesetzt werden müssen. Damit wird einer Beschädigung der Objekte vorgebeugt. Katalogisierung bzw. Kurzbeschreibung dienen auch der Einordnung und Zuschreibung der digitalisierten Bilder. Denn Abbildungen von Papyri allein sind gleichsam wertlos. Die Kurzbeschreibung ist auch eine Vorstufe für die notwendige wissenschaftliche Edition (Transkription, Übersetzung und philologisch-historischer Sachkommentar) der Texte auf den Papyri. "Katalogisat" und "Digitalisat" im Internet dienen der besseren Kommunikation zwischen den Wissenschaftlern. Denn mit Hilfe der Kurzbeschreibung und den beigefügten Fotos läßt sich beispielsweise schnell erkennen, ob Texte aus verschiedenen Sammlungen physisch oder auch inhaltlich zusammengehören. Dabei spielen gerade der Schriftvergleich und damit das Bild eine wichtige Rolle. Dass zusammengehörige Fragmente in verschiedenen Sammlungen aufbewahrt werden, ist bei den deutschen Papyrussammlungen nicht selten der Fall, da die Ankäufe, die das Deutsche Papyruskartell Anfang des letzten Jahrhunderts in Ägypten für seine Mitglieder tätigte, auf verschiedene Lose und Pakete verteilt wurden, die dann ersteigert werden mußten. Daß dabei unabsichtlich Zusammengehöriges getrennt wurde, wird nicht verwundern. Die Möglichkeit, auch kleinere Archive zu finden, wird auf diese Weise beträchtlich erhöht. Unter einem "Archiv" versteht man in der Papyrologie Texte, die ein und dieselbe Person oder Familie betreffen oder die durch einen Sachverhalt inhaltlich eng zusammengehören. Damit kann auch das Einzelzeugnis in einen größeren Kontext gestellt und sein historischer Aussagewert erhöht werden. Im Zuge der bisherigen Erschließung sind einige neue Archive entdeckt und bereits bekannte durch neue Texte erweitert worden. In letzterem Fall wird ein Link zu Trismegistos / Archives gelegt. Diese Art der Präsentation erlaubt einem größeren Publikum einen Blick auf alte und wertvolle Kulturgüter, die aus Gründen der Bestandserhaltung nicht regelmäßig im Original gezeigt werden können. Vielleicht wird der Betrachter aber auch dadurch angeregt, wenn sich die Gelegenheit bietet, die Originale selbst anzuschauen.

Nachnutzung

Nach dem Vorbild Halle-Jena-Leipzig haben dann im Laufe der Zeit die Sammlungen Bremen, Erlangen, Gießen, Köln, Marburg und Würzburg die Papyrusanwendung von MyCoRe nachgenutzt. Basel und Hamburg werden in Kürze dazustoßen.

  • AGATHE TYXE
  • Prof. Dr. Reinhold Scholl

Leipzig, den 19.11.2018